Im Sommer 2018, genauer im September 2018 erhielt ich die niederschmetternde Diagnose Multiple Sklerose (Abk. MS). Absolute Ohnmacht. Ein Tiefschlag sondergleichen. Alles was bis dato wichtig war, war von einem zum anderen Moment so unwichtig und unwirklich.
Bei den Worten des Stationsarztes
Sie haben Multiple Sklerose, eine bis dato unheilbare Autoimmunkrankheit des zentralen Nervensystems!
überkam mich ein Unwohlsein und eine Leere, wie ich beides zuvor nie gefühlt habe. Als Mensch, der sich bis dahin wenig bis gar nicht mit dieser Diagnose auseinanderzusetzen hatte, und wie die meisten Menschen auch nicht musste, brach eine Welt zusammen.
Alles begann ca. im Juni 2018 mit einem Kribbeln der linken Hand. Man könnte das Gefühl beschreiben, als wäre die Hand eingeschlafen. Nun ja, dieses Gefühl hielt dann aber Tage und Wochen lang an.
In meiner täglichen Arbeit als Web- und Software-Entwickler war dies natürlich ein großes Hindernis. In den ersten Tagen konnte ich mit der linken Hand quasi nicht arbeiten, in vielen Fällen traf ich einfach die Tasten der Tastatur nicht wie bisher, wo ich doch mit der richtigen Tastatur immer recht flink und recht fehlerfrei mit 10 Fingern schreiben konnte. Ein Unding, dachte ich mir und stellte mir die Frage, was ist da nur los mit mir?
Ein Gang zum Hausarzt sollte Abhilfe schaffen. Hier wurde mir mitgeteilt, es handele sich um eine "verkrümmte Wirbelsäule" bekannt auch unter dem Begriff Skoliose im oberen Bereich der Wirbelsäule, hätte man in Kindertagen schon erkennen können. Ok, ist eine Aussage, eine Diagnose. Das bekommt man sicher mit Muskelaufbau und disziplinierter Physiotherapie in den Griff.
Eine gute Freundin verschaffte mir dann zusätzlich einen Termin bei einem Neurochirurgen, um eine zweite Meinung einzuholen. Also ab, schauen was der Neurochirurg zu sagen hatte. Erste Aussage nach eingehender Untersuchung, es handele sich möglicherweise um einen Bandscheibenvorfall im oberen Bereich der Wirbelsäule, hierdurch wird ggf. ein Nerv beeinträchtigt. Ok, das ist eine weitere Aussage, wieder eine Diagnose. Jedoch, und darüber bin ich sehr froh, war ihm das nicht genug und er ließ eine Magnetresonanztomographie (Abk. MRT) durchführen. Den Urlaub in der darauffolgenden Woche sollte ich ruhigen Gewissens antreten und dann zur Auswertung des MRT ca. 4 Wochen später erneut vorstellig werden.
Mit den bisher genannten Diagnosen oder „Vermutungen“ und in dem Glauben, dass es sich tatsächlich nur um einen eingeklemmten Nerv handelt, verdrängte ich alles andere und fuhr mit meiner Familie in den Urlaub.
Das Kribbeln hatte sich bis dato und während des Sommerurlaubs 2018, wir reden hier von ca. 2 Monaten, weder verbessert, noch überhaupt positiv verändert, es kribbelte einfach und die Koordination der Finger der linken Hand während der täglichen Arbeit, aber auch ganz allgemein war einfach unterirdisch schlecht.
Entspannt, sonnengebräunt und Vitamin-D betankt ging ich nach dem Sommerurlaub 2018 nun wieder zu besagtem Neurochirurgen, mit einem doch guten Gefühl hinsichtlich der bevorstehenden Auswertung des MRT's.
Setzen Sie sich, wir müssen reden, es ist doch anders als ich dachte!
empfing mich der Neurochirurg. Seine Diagnose, und damit eine direkte Überweisung ins angrenzende Klinikum, war der Verdacht auf Myelitis transversa, eine recht seltene neuroimmunologische Erkrankung des zentralen Nervensystems, bei der es innerhalb kürzester Zeit zu massiven Lähmungserscheinungen kommen kann.
Gesagt, getan. Direkt nach dem Gespräch, mit eben dieser Diagnose im Nacken, bin ich im Klinikum vorstellig geworden und habe für zwei Wochen später einen Aufnahmetermin zur stationären Untersuchung im Krankenhaus erhalten.
Nach drei Tagen Krankenhausaufenthalt mit zwei MRT, einer Elektroenzephalografie (Abk. EEG), einer extrem schmerzhaften Lumbalpunktion, kamen dann die niederschmetternden, eingangs schon angeführten Worte und damit die finale Diagnose des Stationsarztes:
Sie haben Multiple Sklerose, eine bis dato unheilbare Autoimmunkrankheit des zentralen Nervensystems!
Schock…
Die Frage nach der Therapie bei der Diagnose MS ist wohl eine der Schwierigsten, jedenfalls ist das mein Eindruck nach den folgenden Wochen und Monaten. Noch im Krankenhaus wurde ein rascher Therapiebeginn mit Copaxone®/Clift® (Wirkstoff: Glatirameracetat) 20mg, subkutan, empfohlen.
Eine der Stationsschwester sollte mir am Abend die Injektion erklären und mir die Durchführung persönlich zeigen, was dann jedoch durch krankheitsbedingte Abwesenheit der Stationsschwester nicht stattfand. Sei das nun Zufall, Glück, Unglück, man kann es nicht sagen.
Das ist ein Punkt der Diagnose MS, der einen sehr nachdenklich werden lässt, man kann den Verlauf einer jeden MS nicht voraussagen.
Die nächsten Monate waren geprägt von Umstellung. Wie schon gesagt zunächst ohne Copaxone®/Clift® (Wirkstoff: Glatirameracetat) und auch ohne eine der vielen anderen (Basis-)Therapien bei MS. Dafür mit Gesprächen und einem doch ständigen Austausch mit meinen Liebsten, meiner Familie, mit anderen Betroffenen, mit lieben Freunden, mit Sozialarbeitern, mit Ämtern und Einrichtungen, Physio- und Ergotherapeuten, meiner Hausärztin und nicht zuletzt mit meinem Neurologen und seinem Team der neurologischen Ambulanz.
Bei dieser Diagnose befasst man sich natürlich mit Allem was man darüber finden kann. Manchmal, und das tut mir schon sehr leid, gab es in den Monaten nach der Diagnose für mich persönlich Zeiten, in denen ich kaum ein anderes Thema hatte, man sehe es mir nach! Es beschäftigt mich täglich vom Aufstehen bis zum Einschlafen, mit Unterbrechungen durch die tägliche Arbeit und Ablenkung mit der Familie oder bei meinen begleitenden Physio- und Ergotherapien doch sehr.
Auf was ich in den letzten Monaten beim Lesen von Büchern, Artikeln, Beiträgen, Veröffentlichungen, Allem was ich bis dato finden konnte, immer wieder gestoßen bin, sind die mit der Diagnose MS einhergehenden Schübe.
Um einen neuen Schub von einem vorangegangenen abgrenzen zu können, müssen definitionsgemäß mindestens 30 Tage zwischen beiden klinischen Ereignissen liegen.
Klar, logisch, aber was ist nun ein Schub bei meiner MS? Das kann ich persönlich bis heute nicht beantworten und vielleicht ist es auch gut so. In den nächsten Monaten war ich nur wenige Tage arbeitsunfähig geschrieben. Aber an diesen wenigen Tagen ging es mir einfach dreckig. Ansonsten erlebe ich aktuell Tage, da bin ich abends so platt, dass ich die Treppen im Haus einfach mal auf allen Vieren bewältigen muss, um ins Bett zu kommen.
Anfangs war das kein Hindernis, über die letzten Monate aber hat es sich immer mehr dazu entwickelt. Damals habe ich noch nicht weiter darüber nachgedacht. Heute kann ich sagen, dass es sich mit Sicherheit um Erschöpfungssymptomatik handelt, welches verschiedene Nervenkrankheiten u.a. auch die MS begleitet, die Fatique.
Aufgeben? Auf keinen Fall!
Nachdem ich mich nun Anfang 2019 auch noch beruflich neu orientierte und den Arbeitgeber gewechselt hatte, gab es zu diesem Zeitpunkt auch keinen Stillstand hinsichtlich meiner MS.
Nach einem Treffen mit einer Sozialarbeiterin der Stadt füllte ich meinen Antrag auf Schwerbehinderung nach Sozialgesetzbuch (Abk. SGB) IX aus und reichte diesen im Januar 2019 beim Versorgungsamt ein. Im Juli 2019 dann der Feststellungsbescheid mit einem Grad der Behinderung (Abk. GdB) von 30. Seit Oktober 2019 bin ich zudem mit schwerbehinderten Menschen gleichgestellt.
Seit ungefähr April/Mai 2019 verstärkte sich das Kribbeln und die Schmerzen sowie auch die motorischen und zunehmenden taktilen und haptischen Einschränken der linken Hand, zudem auch des linken Armes immer mehr.
Auch in diesen Zeitraum fallen die ersten motorischen Störungen in den Beinen, beginnend zunächst linksseitig und dann immer mehr auch rechtsseitig. Anfänglich äußerte sich dies in einem hin und wieder auftretenden leichten Muskeltonus, d.h. einem Zittern der Beine, welcher sich besonders beim Treppensteigen aber auch zunehmend bei Überanstrengung wie beispielsweise dem Radfahren zeigte.
Es entwickelte sich, mit kleinen täglichen Unterbrechungen, ein häufiges Zittern der Beine sowie motorische Störungen bis hin zu Gleichgewichtsstörungen in den Beinen, einhergehend mit Kribbeln, Schmerzen, ganz unabhängig von der täglichen persönlichen Verfassung und Beanspruchung der Beine sowie auch unabhängig von Wettereinflüssen, d.h. Hitze oder Kälte wie es mir schon von anderen Betroffenen berichtet wurde.
In den Monaten November und Dezember 2019 habe ich in vielen Gesprächen mit meinem Neurologen dann doch den Schritt zu einer Therapie wagen wollen, um meine Multiple Sklerose im besten Fall zu einem Stillstand zu bewegen.
Als Mittel der Eskalationstherapie wurde mir Mavenclad® (Wirkstoff: Cladribin), ein Immunsuppressiva, empfohlen.
Anfang 2020 habe ich mit der Therapie begonnen.
Wie zu erkennen ist, trifft es auch auf meine MS und ihren Verlauf zu, sie als "die Krankheit mit tausend Gesichtern" oder auch "die Krankheit die niemals schläft" zu bezeichnen.
Nun, meine Multiple Sklerose wird in ihrem Verlauf ihr Gesicht mir gegenüber noch weiter zeigen.
To be continued!